Kapitel 31
Das Modell der mentalen Buchführung geht auf den Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler zurück und befasst sich mit der mentalen Budgetierung und Kategorisierung von Ausgaben. Kurzgefasst beschreibt die mentale Buchführung, dass wir unsere Aufwendungen (z. B. Geld, Zeit oder Anstrengungen) unbewusst in mentale Konten einteilen und diese unterschiedlich behandeln. Die mentale Buchführung kann damit erklären, warum wir in vielen Situationen ein irrationales Verhalten mit Geld und Zeit zeigen.
Ein berühmtes Experiment zur mentalen Buchführung dreht sich um einen Theaterbesuch. Stellen Sie sich vor, Sie haben im Vorverkauf eine Theaterkarte für zwanzig Euro gekauft, und am Eingang des Theaters bemerken Sie, dass Sie unterwegs die Eintrittskarte verloren haben. Sie stehen jetzt vor der Wahl: Kaufen Sie sich eine neue Karte, oder verzichten Sie auf den Theaterbesuch?
Betrachten wir zum Vergleich ein anderes Szenario. Sie möchten ebenfalls ins Theater, haben jedoch keine Karte im Vorverkauf gekauft. An der Theaterkasse angekommen bemerken Sie, dass Sie unterwegs zwanzig Euro verloren haben. Wie verhalten Sie sich jetzt?
Obwohl der Verlust in beiden Szenarien identisch ist, sind im ersten Szenario nur 46 Prozent der Menschen bereit, sich ein neues Ticket zu kaufen, während es beim zweiten Szenario 88 Prozent sind. Dieser große Unterschied im Verhalten kann dank der mentalen Buchführung aufgeklärt werden. Denn im ersten Szenario wird die verlorene Theaterkarte dem mentalen „Theaterkonto“ zugerechnet, wodurch sich der Theaterbesuch auf 40 Euro verteuert. Beim verlorenen Geld wird der Verlust dagegen auf einem anderen mentalen Konto verbucht (z. B. „Pech“), weshalb das „Theaterkonto“ unangetastet bleibt und sich der Theaterbesuch subjektiv nicht verteuert.
Wie eingangs erwähnt, hilft uns die mentale Buchführung, einen Überblick über unsere Ausgaben und Einnahmen sowie deren Kosten und Nutzen zu behalten. Wir greifen darauf nicht nur zurück, um unsere Ausgaben und Ressourcen zu verwalten, sondern auch um Ziele zu definieren und diese zu erreichen (z. B. Sparen für einen Neuwagen). Dank der mentalen Buchführung sind Menschen überhaupt erst in der Lage, mehrere Ziele gleichzeitig zu verfolgen, da mentale Buchführung uns erlaubt, Ressourcen vor konkurrierenden Zielen zu schützen. Das Problem der mentalen Buchführung besteht allerdings darin, dass je nachdem, wie eine Entscheidungssituation in den mentalen Konten dargestellt wird, ökonomisch gleiche Sachverhalte oft unterschiedlich bewertet werden – mit erheblichen Folgen für das ökomische und rationale Verhalten. Die Forschung hat dafür zahlreiche Beispiele parat:
Die spannende Frage, die sich nun stellt, lautet, wovon es eigentlich abhängt, welche Ausgabe wir welchem Konto zuweisen? Hierfür sind die Ziele entscheidend, für die wir die mentalen Konten eingerichtet haben. Dies können konkrete Ausgaben sein (etwa Sparen für einen Neuwagen) oder für allgemeine Ausgabenkategorien (wie Freizeitaktivitäten) sein. Auf welchem Konto nun etwas verbucht wird, hängt davon ab, wie repräsentativ eine Ausgabe bzw. ein Posten für ein Ziel ist. Wenn wir beispielsweise uns ein neues Mountainbike kaufen, dann werden wir direkt im Anschluss nicht weiter in unsere Freizeitaktivitäten investieren, indem wir uns einen neuen Fernseher zulegen, da das Konto „Freizeit“ bereits durch das Mountainbike ausgeschöpft ist. Allerdings kann es gut sein, dass wir dagegen bereit sind, uns ein neues Notebook zuzulegen. Denn das Notebook kann in unterschiedlichen Graden repräsentativ für die Ziele „Freizeit“ und „Arbeit sein. Hier kommt es darauf an, ob wir das Notebook dem Freizeit- oder dem Arbeitskonto zuschreiben. Wenn wir es hierbei dem Arbeitskonto zuschreiben, welches noch nicht belastet ist, werden wir keine Probleme darin sehen, diese Ausgabe zu tätigen.
Wie wir sehen, kann die Zuschreibung eines Postens zu einem mentalen Konto erhebliche Auswirkungen auf unser Konsumverhalten haben. Wenn wir beispielsweise ein Opernhaus betreiben, dann sollten wir wissen, dass eine Person einen Besuch in der Oper als Unterhaltung ansehen kann, wodurch beim Kauf der Opernkarten das Unterhaltungskonto belastet wird. Es kann aber auch sein, dass die Oper als Investition in die Bildung angesehen wird, woraufhin das Bildungskonto belastet wird. Sieht eine Person die Oper als Unterhaltung an, so wird sie auf einen Besuch verzichten, wenn ihr Unterhaltungskonto bereits erschöpft ist. Dagegen wird es für die Person trotz erschöpften Unterhaltungskontos kein Problem darstellen, eine Opernkarte zu kaufen, wenn diese auf dem Bildungskonto verbucht wird. Als Marketingverantwortliche einer Oper sollten wir deswegen darauf achten, dass wir einen Opernbesuch sowohl als Unterhaltung als auch als Bildungsinvestition bewerben, damit eine Person die Möglichkeit hat, ihre Ausgaben flexibel zu einem noch nicht erschöpften Konto zuschreiben zu können.
Genau diese Flexibilität, mit der Konten gebildet und Ressourcen gebucht werden, dient im Alltag auch dazu, impulsives und hedonistisches Verhalten rechtfertigen zu können. Für den deutschen Werbe- und Konsumentenpsychologen Georg Felser stellt die mentale Buchführung deshalb ein Instrument dar, mit dessen Hilfe wir das, was uns ohnehin in den Kram passt, auch gut begründen können. Ist beispielsweise in der Urlaubszeit das Geld knapp, dann werden die Ausgaben für die Urlaubsreise trotz angespannten Budgets damit gerechtfertigt, dass man seit Jahren keinen Kabelanschluss mehr hat – obwohl die Ersparnis des Kabelfernsehens nicht ansatzweise die Urlaubsreise kompensiert.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der mentalen Buchführung ist deren Einfluss auf den sogenannten Zahlungsschmerz (pain of paying), welcher unmittelbar mit der Ausgabe von Geld verbunden ist. Beim Zahlungsschmerz handelt es sich um eine negative affektive Reaktion, die während des Bezahlvorgangs auftritt und welche den Genuss aus dem jeweiligen Konsumakt schmälert. Dabei gilt: Je mehr ein Kauf uns schmerzt, desto weniger sind wir bereit, einen Kauf zu tätigen. Das Interessante hierbei ist, dass der Zahlungsschmerz je nach Zahlungsmittel unterschiedlich hoch ist und auf unterschiedlichen mentalen Konten verbucht wird. In der Fachwelt nennt man dieses Phänomen „Entkopplung von Zahlung und Konsum“. Während beispielsweise Bezahlvorgänge mit Bargeld und Scheck einen besonders hohen Zahlungsschmerz auslösen und dem jeweiligen Konsumposten direkt zugerechnet werden, lösen dagegen Bezahlvorgänge mit Kreditkarte oder mobile Payment geringe Zahlungsschmerzen aus, die meisten auch nicht dem jeweiligen Konsumposten, sondern den mentalen Konten „Kreditkarte“ oder „mobile Payment“ zugerechnet werden.
In diesem Kontext konnten die Wirtschaftswissenschaftler Drazen Prelec und George Loewenstein in mehreren Studien aufzeigen, dass je mehr ein Zahlungsvorgang von einem Kauf entkoppelt ist, umso mehr konsumiert wird. Dies ist besonders bei Kreditkarten der Fall, bei denen die Kreditkartenschulden sowohl zeitlich vom Kaufvorgang entkoppelt sind als auch den einzelnen Käufe nicht mehr zurechenbar. In diesem Kontext konnte die Forschung weitere interessante Befunde aufzeigen:
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Patrick Michalowski berät kleinere und mittelständische Unternehmen bei der psychologischen Optimierung ihrer Marketingaktivitäten. Er hat erfolgreich mehrere Studiengänge im Bereich Wirtschaft, Medien und Psychologie absolviert und ist darüber hinaus zertifizierter Referent für psychologische Kommunikationsprozesse (PFH)
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